
von FLORIAN PASTERNY
Es beginnt nicht mit einem Schrei, sondern mit einem Ladebalken. Das Handy zuckt, eine Push-Nachricht leuchtet auf wie ein kosmisches Augenzwinkern: Unruhen in mehreren Städten. Bitte bleiben Sie ruhig. "Bitte bleiben Sie ruhig" – das neue "Alles wird gut", nur mit dem bitteren Nachgeschmack digitaler Verzweiflung. Wer jetzt noch ruhig bleibt, ist entweder tot, Influencer oder beides.
In der ersten Stunde wundern wir uns. Über das Video, in dem ein Mensch einen anderen beißt – nicht metaphorisch, sondern mit echtem Speichel. Der Ton ist schlecht, die Quelle zweifelhaft, aber die Wirkung ist real. Denn Zweifel ist nur so lange tragbar, wie die Kaffeemaschine funktioniert. Und das tut sie nicht mehr. Plötzlich fällt dir auf, dass es verdächtig still ist. Kein Zug fährt, kein Kind lacht, kein Amazonfahrer steht mehr vor deiner Haustür. Apokalypse light – noch mit Restaroma von Zivilisation.
Die zweite Stunde bringt das, was Soziologen als Verhaltenspivot bezeichnen würden, wenn sie nicht gerade selbst damit beschäftigt wären, Konserven in den Kofferraum zu stapeln. Menschen verlassen ihre Wohnungen mit einer Mischung aus Jogginghose, Fahrradhelm und Panik im Blick. Nicht, weil sie wissen, was zu tun ist – sondern weil etwas getan werden muss. Eine Frau ruft beim Bäcker: "Haben Sie Ostermontag auf, auch wenn die Welt untergeht?" Es bleibt unklar.
Wir greifen nicht zur Waffe – wir greifen zum Telefon. Deutsche Apokalypse heißt: Erstmal Mama anrufen. Dann das Kind holen. Dann panisch in die Tiefkühltruhe starren und sich fragen, ob vier Packungen Rahmspinat reichen für den Fall, dass wir ab morgen wieder Jäger und Sammler sind.
Die dritte Stunde ist der Wendepunkt. Nicht, weil etwas Spektakuläres geschieht. Sondern weil nichts mehr passiert, was bekannt aussieht. Der Strom bleibt aus. Die Polizei kommt nicht. Und der Nachbar, den du seit zehn Jahren duzt, sieht dich an, als wäre er bereit, deinen Hund zu essen. Noch nicht. Aber bald. Der Zombie hat sich noch nicht gezeigt, aber der Mensch beginnt bereits, seine Maske zu verlieren – wortwörtlich und im übertragenen Sinn.
Tag eins endet mit einer Erkenntnis: Die Welt, wie wir sie kannten, war keine Ordnung – sondern ein Zustand. Und Zustände sind fragil. Die Menschen fangen an, Gruppen zu bilden. Nicht nach Ideologien, sondern nach Vertrauen. Wer teilt? Wer schützt? Wer schnappt sich den Generator und sagt: Der gehört jetzt uns? Ironischerweise ist die Dinkeldörte, die immer nervte, plötzlich Gold wert – niemand kennt sich besser mit Wurzeln, Pflanzen und moralischer Überheblichkeit aus.
Tag zwei ist das Ende der Höflichkeit. Menschen beginnen, Türen nicht mehr zu öffnen. Nicht aus Angst vor Zombies – sondern aus Angst vor anderen Menschen. Die Sprache ändert sich. Aus "Wir schaffen das" wird "Ich hab genug für mich." Aus "Menschlichkeit" wird "Mensch als Risiko". Die erste Selbsthilfegruppe nennt sich "Aldi-Krieger" und verteidigt die Tiefkühltruhe mit Bratpfannen. Ironie ist nicht tot. Aber sie liegt mit einem Thermobecher unter einem Auto und zittert.
Philosophisch betrachtet ist die Zombie-Apokalypse kein Zusammenbruch, sondern ein Schleier, der fällt. Sie zeigt uns nicht eine neue Welt, sondern eine ehrlichere Version der alten. Ohne Strom, ohne Netz, ohne gesellschaftliche Schminke. Ein Zustand der Entblößung. Der Mensch, der sich für rational, moralisch und überlegen hielt, erkennt sich plötzlich als verwirrtes Tier mit Smartphone-Entzugserscheinungen und einem diffusen Gefühl, dass Hölderlin vielleicht doch recht hatte, als er schrieb: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Aber das Rettende ist gerade im Urlaub – und hat keinen Empfang.
Zombies, so paradox es klingt, sind vielleicht die Letzten, die uns noch etwas lehren können. Sie sind nicht komplex, sie sind nicht korrupt, sie sind nicht ideologisch – sie sind rein. Ihr Hunger ist ehrlich. Ihr Ziel klar. Ihr Verhalten vorhersehbar. Ein Zombie sagt nicht: Ich beiße dich, aber nur, wenn du in meiner Steuerklasse bist. Der Mensch hingegen fragt zuerst: Was bekomme ich dafür?
Am Ende – Tag drei, vielleicht Tag sieben – stellt sich nicht mehr die Frage, was passiert ist. Sondern: Wer bin ich jetzt? Wenn du hungrig bist, müde, stinkst, deine Freunde verloren hast, und zum ersten Mal in deinem Leben jemanden töten musstest, um zu überleben – bist du dann noch du? Oder bist du bereits einer von ihnen? Nicht, weil du sabberst oder stöhnst. Sondern, weil du den Anderen vergessen hast.
Denn das ist das eigentliche Ende der Zivilisation: Nicht der Stromausfall, nicht das Virus, nicht der Biss. Sondern der Moment, in dem du entscheidest, dass du wichtiger bist als alle anderen. Dass deine Angst moralischer ist als ihre. Dass dein Überleben ein Naturrecht ist – und ihres ein Kollateralschaden.
Zombies? Die sind das geringste Problem. Unsere Empathie hat einen viel kürzeres Verfallsdatum.
Florian Pasterny
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