
von JAN GUDDEN
Ach, der moralische Graben. Die große Zerrissenheit. Das „Ich bin ja eigentlich Freund Israels, aber…“
Wie oft haben wir diesen Satz in den letzten Monaten gehört? Wie oft haben sich selbsternannte Moralisten und Hobby-Völkerrechtler in ihrer ach so differenzierten Empörung gesuhlt, als müssten
sie täglich eine neue Version ihres inneren Dilemmas vertonen?
Lassen Sie uns die Dinge einmal zurechtrücken – ohne das Gewäsch von Zerrissenheit, ohne das intellektuelle Kopfkino, das nur allzu oft als Feigenblatt dient, um sich nicht klar zu positionieren.
Ja, Israel verteidigt sich. Und zwar gegen eine Terrororganisation, die Massaker anrichtet, Menschen verschleppt, Frauen vergewaltigt, Kinder köpft und dann in Schutzschildmanier in Krankenhäusern und Schulen untertaucht. Aber bitte, regen wir uns lieber darüber auf, dass israelische Luftschläge auch dort einschlagen, wo angeblich nur Zivilisten sind – als wären es nicht die Täter, die sich genau dorthin zurückziehen, in der Hoffnung auf genau die Bilder, über die westliche Intellektuelle dann herzzerreißend erschützt schwadronieren können.
Wissen Sie, was mich wirklich erschüttert? Diese selektive Humanität. Diese akrobatische Empathie, die wie auf Knopfdruck funktioniert – aber nur in eine Richtung. Plötzlich zählen tote Kinder wieder, aber nur auf einer Seite. Die 1.200 Ermordeten vom 7. Oktober? Geiselhaft? Sexuelle Gewalt? Ach ja, stimmt, da war ja was. Aber jetzt sind wir ganz bei Gaza. Jetzt müssen wir Israel stoppen. Ausgerechnet Israel – nicht die, die das Feuer gelegt haben.
Und dann kommt die Lieblingswaffe des moralisch Erschöpften: der Verweis auf das Völkerrecht. Als wäre es ein handliches Werkzeugkofferchen, das man mal eben rauszieht, wenn es darum geht, einem angegriffenen Land die Legitimität abzusprechen. Wie lächerlich. Israel hat nicht nur das Recht, sich zu verteidigen. Es hat die Pflicht. Und wer das in Frage stellt, sollte sich fragen, wie er handeln würde, wenn sein eigenes Haus in Flammen stünde – und die Brandstifter immer noch auf dem Dach sitzen.
Und dann, natürlich: der Haftbefehl gegen Netanyahu. Der neue Popstar der Empörungsindustrie. Ein umstrittenes politisches Signal, inszeniert als moralischer Endsieg. Schön bequem, wenn man die Komplexität der Lage auf ein Gesicht reduzieren kann. Netanyahu ist nicht Israel? Mag sein. Aber Israel ist auch nicht die Karikatur, die sich viele daraus basteln. Wer den Premier anklagt, aber kein Wort über die Hamas verliert, macht sich zum Handlanger der Täter. Punkt.
Wahre Solidarität mit Israel bedeutet eben nicht, jedes Mal einen Verzweiflungsaufsatz zu schreiben, wenn Israel sich verteidigt. Wahre Solidarität heißt, auch dann zu stehen, wenn es unbequem wird. Wenn Bilder schmerzen. Wenn man merkt, dass Krieg kein Schachspiel ist. Sondern dreckig. Brutal. Und leider manchmal notwendig.
Denn was ist die Alternative? Israel legt die Waffen nieder? Vertraut auf Verhandlungen mit Fanatikern, deren Charta die Auslöschung Israels vorsieht? Das klingt nach einem Märchen, das man vielleicht im Elfenbeinturm schreiben kann, aber nicht in der Realität des Nahen Ostens.
Diese Realität ist nicht nett. Sie ist nicht zart. Sie ist, was sie ist: eine Auseinandersetzung zwischen einer Demokratie – ja, mit Fehlern und Widersprüchen – und einer mörderischen Ideologie, die keine Kompromisse kennt. Wer in dieser Lage „neutral“ bleiben will, hat sich längst entschieden – nur nicht für die, die Schutz brauchen.
Also bitte, verschonen Sie uns mit ihrem intellektuell verbrämten Unwohlsein. Mit ihrer salonfähigen Trauer über ein Israel, das angeblich seine Seele verliert. Israel hat seine Seele nicht verloren. Es verteidigt sie – gegen eine Welt, die sich zunehmend daran gewöhnt hat, dem jüdischen Staat Sonderregeln aufzuerlegen.
Und vielleicht ist das der eigentliche Skandal: Dass ausgerechnet jene, die sich sonst für Toleranz, Vielfalt und westliche Werte feiern, plötzlich ins Stammbuch der Relativierer greifen, wenn es um Israel geht.
Aber gut. Man kann ja nicht jeden Tag Rückgrat beweisen. Manchmal reicht es offenbar, ein Zitat von Hannah Arendt zu googeln.
Jan Gudden
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