
von FLORIAN PASTERNY
Es ist zur politischen Formel unserer Zeit geworden: die Brandmauer. Sie soll trennen, was vermeintlich unvereinbar ist – die demokratische Ordnung hier, der rechtspopulistische Abgrund dort. Doch die Brandmauer, die einst als Schutz gedacht war, ist längst selbst zu einem Symbol der Hilflosigkeit geworden. Sie steht nicht für Stärke, sondern für die Unfähigkeit zur Auseinandersetzung.
Die AfD ist keine normale Partei. Sie ist rassistisch in ihrer Rhetorik, revisionistisch in ihrem Denken und gefährlich in ihrer Emotionalität. Wer ihre Programmatik liest, stößt auf eine Mischung aus Ressentiment, Simplifizierung und kalkulierter Provokation. Doch so sehr man diese Partei moralisch ablehnen muss – die Strategie, sie durch politische Quarantäne zu bekämpfen, verfehlt ihr Ziel. Wer sie konsequent ausgrenzt, stärkt ihr Selbstbild als verfolgte Opposition. Sie lebt von der Pose des Ausgeschlossenen, vom Mythos der Rebellion gegen „die da oben“. Jede verweigerte Kooperation, jede abgebrochene Debatte gießt Öl in das Feuer ihres Märtyrernarrativs.
Demokratie aber lebt von Streit, nicht von Schweigen. Von Diskurs, nicht von Distanz. Eine Gesellschaft, die sich ihrer Gegner nur moralisch, aber nicht argumentativ stellt, verliert den Resonanzraum, in dem Wahrheit sich behaupten kann. Man kann eine Bewegung, die von einfachen Wahrheiten lebt, nur in der Konfrontation mit der komplexen Realität widerlegen. Erst dort, wo Populismus auf Verwaltung trifft, wo Parolen in Haushaltsdebatten zerbröckeln und Ideologie am Alltag scheitert, zeigt sich, was von den großen Versprechen übrig bleibt.
Die Erfahrung aus der Praxis ist ernüchternd – und zugleich lehrreich. In Sonneberg, wo ein AfD-Landrat regiert, bleibt von der vollmundigen Ankündigung eines politischen Neuanfangs wenig übrig. Verwaltungsarbeit stagniert, Projekte verzögern sich, die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ist blockiert. Ähnlich in sächsischen Gemeinden, wo AfD-Bürgermeister im Amt sind: Wo Empörung regiert, herrscht bald Stillstand. Verwaltung braucht Kompetenz, Kompromissfähigkeit, Realitätssinn – all das, was Populisten verachten und nicht beherrschen. Diese sichtbaren Defizite sind die wirksamste Form der Entzauberung.
Deshalb muss die Brandmauer nicht eingerissen, aber durchlässig werden. Nicht im Sinne der Anbiederung, sondern im Sinne der demokratischen Prüfung. Wer die AfD wirklich stellen will, muss sie in die Verantwortung führen – dorthin, wo sie gezwungen ist, ihre eigenen Parolen zu beweisen. Nur wenn sie Entscheidungen treffen, Kompromisse schließen und Mehrheiten suchen muss, offenbart sich ihr Mangel an politischer Substanz. Man besiegt den Populismus nicht, indem man ihn ignoriert, sondern indem man ihn beim Wort nimmt.
Natürlich gibt es rote Linien, die unüberschreitbar bleiben müssen. Kein Pakt mit Verfassungsfeinden, keine Toleranz für Rassismus oder Geschichtsvergessenheit. Aber zwischen moralischer Klarheit und politischer Handlungsstarre liegt ein Raum, in dem Demokratie beweisen kann, dass sie stärker ist als jede Empörungsrhetorik. Dieser Raum heißt: inhaltliche Auseinandersetzung.
Die Brandmauer in ihrer jetzigen Form ist eine bequeme Pose. Sie signalisiert Haltung, ohne Risiko einzugehen. Doch wer die Demokratie schützen will, darf sich nicht hinter Symbolen verstecken. Er muss sie leben – im Streit, in der Debatte, im Wettstreit der Ideen. Nur dort, wo die AfD gezwungen ist, zu handeln statt zu hetzen, verliert sie ihre Kraft.
Denn Populismus verdampft in der Hitze der Realität. Und genau dorthin gehört er: ins grelle Licht der Verantwortung.
Florian Pasterny
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